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Umgekehrte Idyllen. Friederike Mayröckers Deinzendorf

 

»Der Abdruck der nackten Füsze im Staub der Dorfstrasze in D., wo ist dieser Abdruck der Füsze hingekommen wohin die frühen Sommer, tieffliegenden Schwalben mit ihren blutroten Kehlen Insekten auffangend.«

Friederike Mayröcker: Scardanelli (2009)

»Die Örtlichkeit: Deinzendorf, ein winziges niederösterreichisches Dorf, nahe der tschechischen Grenze, sanftwellige Hügellandschaft, Korn, Gerste, Hafer, Raps, der betäubende Duft der Akazien, feuchte niedrige Behausung, Gewinkel, Hütten, Verschläge, wie der Menschenschlag dort: ›Das Antlitz haben sie zerstreut, zerstört…

er läszt den Weinheber bedächtig ins Fasz hinunter…‹« (Blumenwerk, S. 48)

Wo findet sich Mayröckers Deinzendorf? Hat es Platz zwischen der alten Dorfschule, der Kirche (wo sie 2011 auch eine Lesung gegeben hat), inmitten der Obstbäume, Weinkeller, dem Kriegerdenkmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege? Den verlassenen Häusern, ehemaligen Streuobstwiesen, den nur zu den Stoßzeiten befahrenen Dorfstraßen? Den beiden Teilen des Dorfes, getrennt durch den Fluss, der ganz nahe vom Haus Nr. 112, dem Mayröcker-Haus, fließt?

Welchen (autobiografischen) Pakt im Sinne Philippe Lejeunes geht das geschriebene D. mit dem Ort Deinzendorf ein? Wie umgehen mit Biografie, Werk, Autorin, Anekdoten, Familiengeschichte, Erinnerungen oder Dichterinnenverehrung, dem Vergessen, der Gleichgültigkeit, dem Verwachsenen, das alles zusammenfließt in D.?

»ich meine ich bestreite alles Autobiographische und poche auf mein Recht, ich beharre auf mein Recht, auf meinem Recht auf FIKTION das entsprungene Rot« (Blumenwerk, S. 23) heißt es in Mayröckers ländlichem Journal zu Deinzendorf.

Die Zartheit in den Texten Mayröckers zeigt sich in Hinblick auf D. oder Deinzendorf auch in der Uneindeutigkeit des Ortes – so ist es das, wo ihre »Kindersommer« stattgefunden haben, wo die Augen einer jener, die sich erinnert, kurz den Blick des einst gewesenen Kindes suchen, das dort sieht und dort träumt, wo »immer Nachmittag ist«. Doch es ist auch jener Ort, der einengt, der klein ist, das Idyllische stets an der Kippe:

»Eine umgekehrte Idylle

keine Luken, keine Scharten, keine Bullaugen, keine Zinnen, in meiner umgekehrten Idylle, sage ich, oft spüre ich das Lattenzimmern und Latteneinsetzen, das Flicken des Lattenzaunes, der mich umgibt, so vehement in meinem Fleisch dasz ich aufheulen könnte, wenn mich ein Nagel auf die Fingerspitzen trifft, wenn die Spitze des Nagels mir in den Ellenbogen dringt.« (Blumenwerk, S. 21)

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Sophie Liepold, Regina Menke und Frieda Paris​​​​​​

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Deinzendorf Gruppenfoto.JPG
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