
Ferdinand Schmatz
gedicht referat zum
ausführenden verstehen
in
MANDELSTAMS
„GESPRÄCH
ÜBER
DANTE“
– als eines
auf Dante
hin
zu Mandelstam
und uns selbst
A
Mandelstams Poetik:
der Versuch einer Darstellung des eigenen Dichtens über das Denken eines anderen, besser:
ein Versuch eines Entwurfs einer Art idealen Dichtung, die genau dieses Ideale ständig in Frage stellt und dem Ideal des ständigen Prozesses eine Wandlung zuzuführen hofft:
Ein „Denken über“ als Gespräch
– vgl. Mandelstams Aufsatz „Über den Gesprächspartner“ –
– vgl. Isenschmid, „Jedes Wort ein kleiner Kreml“. –
Dantes Poetik ist Mandelstams Poetik-Einverleibung.
Wir sagen:
Wort/Politik/Dichtung = ästhetisch/politisch/existentiell
eine amour fou ....?!
B
Überhaupt und so nebenbei:
Beim dichterischen SPRECHEN ODER DENKEN
-
vgl. Schmatz, „denke ich in worten wenn ich dichte oder dichte ich in worten wenn ich denke“ –
ist da ein Denken als
Sprechen
oder Reden?:
Die Rede:
das Geordnete, sinnfundiert
– vgl. die „KAUSALE WIRKSAMKEIT“ bei Whitehead! –
Das Sprechen, etymologisch:
ein Krächzen etc.
– vgl. die „PRÄSENTATIVE UNMITTELBARKEIT“ bei Whitehead! –
Dieses Sprechen ist Dichten ist Denken UND DREHT SICH ZURÜCK?
C
EXKURS:
2 Modi bei Whitehead:
Zwei WAHRNEHMUNGsmodi.
Der eine
„objektiviert“ die aktualen Dinge unter dem Anschein präsentativer Unmittelbarkeit.
Der andere
„objektiviert“ sie unter dem Anschein kausaler Wirksamkeit.
Die SYNTHETISCHE AKTIVITÄT, die beide Modi verschmilzt, ist symbolische Referenz.
Das ist das TÄTIGE VERSTEHEN bei Mandelstams Dante Lektüre, die in Dante liegt und die Mandelstam allgemein propagiert:
Bei Whitehead finden wir weiter:
„Dadurch werden verschiedene Aktualitäten, die in den zwei Modi jeweils verschieden erschlossen werden, identifiziert oder zumindest in aufeinander bezogene Elemente unserer Umgebung korreliert.“
Modi 1
zur präsentativen / vergegenwärtigenden Unmittelbarkeit
= üblicherweise Sinnes-Wahrnehmung. Eigene Erfahrung und gleichzeitig Wahrnehmung der äußeren Welt, die diese konstituiert. Gleichzeitig aktual die Welt und wir (Gemeinschaft aktualer Dinge).
Vermittlung von Qualitäten wie Farben, Geräusche, Geschmäcker etc.
Schema der räumlichen Relationen der wahrgenommenen Dinge. Anpassung ihrer Eingänge an dieses Schema:
Gleichzeitige Organismen als Objekte in Erfahrung eingeführt, auch Körperorgane.
Sinnesdaten als Körpergefühle:
o
Sinnesdaten hängen vom wahrnehmenden Organismus und seinen räumlichen Relationen zu den wahrgenommenen Organismen ab.
o
Gleichzeitige Welt ist ausgedehnt und Plenum von Organismen.
z.B.
Erscheinungsbild eines farbigen Stuhls, der uns Raum hinter einem Spiegel präsentiert, kein Wissen über die
Charakteristika von Räumen hinter dem Spiegel.
Aber im Spiegel ist das Erscheinungsbild genauso unmittelbare Präsentation von Farben, welche die Welt in einer Entfernung hinter dem Spiegel qualifizieren, wie die direkte Ansicht des Stuhls, wenn wir uns umdrehen und ihn ansehen.
REINE PRÄSENTATIVE UNMITTELBARKEIT WEIGERT SICH IN ILLUSION ODER NICHT-ILLUSION UNTERTEILT ZU WERDEN!
Modi 2
zur kausalen Wirksamkeit:
Humes
Sinnesbündel sind präsentative Unmittelbarkeit in Ansätzen.
Bloße Gegebenheiten als gesamte Erfahrung.
Kants
Kausalität Faktor der phänomenalen Welt.
Also – die Gegenwart:
ERFAHRUNG ALS AKTIVITÄT:
Wahrnehmender ist Wahrgenommenes und Wahrnehmendes zugleich
Sprache – SYMBOL UND BEDEUTUNG:
Umkehrung von Symbol und Bedeutung.
Wort ist Symbol –
geschrieben gesprochen.
Geschriebenes Wort suggeriert das korrespondierende gesprochene Wort durch dessen Geräusch -
– vgl. Mandelstams GEKREUZTES SPRECHEN!!! –
... also ist
geschriebenes Wort das Symbol und gesprochenes Wort die Bedeutung.
Anschließend wird das gesprochene Wort zum Symbol; und seine Bedeutung ist die – gesprochene oder geschriebene –Wörterbuch-Bedeutung des Wortes.
Darstellung menschlichen Denkens verlangt Antworten
auf ein
WIE:
o wir wahrhaft wissen
o wir irren
w wie wir Wahrheit und Irrtum unterscheiden
können aufgrund von Kriterien
In Weise von:
Direktem Erkennen
Und
Symbolischer Referenz.
Einige Komponenten des Geistes – Erfahrung, Bewusstsein, Emotionen etc. – rufen andere Komponenten seiner Erfahrung hervor:
Erste Menge von Komponenten sind die Symbole,
Die zweite bilden die Bedeutungen der Symbole.
Das organische Funktionieren, der Übergang vom Symbol zur Bedeutung ist die SYMBOLISCHE REFERENZ
Dichtung, ja DICHTUNG könnte so
die Referenz von Wörtern auf Dinge
mit den
zwei Modi direkter
Wahrnehmung der äußeren Welt.
+
dem symbolischen Wechselspiel zwischen den zwei Modi mit verschiedenen Informationen
SEIN:
Die eine vage!
Die andere präzise!
Die eine wichtig!
Die andere trivial!
Aber Gemeinsamkeiten von beiden als
Präsentationsschemata
D
Beides auf
MANDELSTAMS DANTE hin:
Eine sich hin und her bewegende Praxis:
ein Dialog aus Dialogen als Sprechen und als Rede auf etwas hin, auf jemanden hin,
dies im „Gespräch über Dante“ zumindest rhetorisch, das heißt angenommen, vorgestellt, im Bewusstsein konstruiert –
verändert das so das Denken über etwas?
E
Hat das nun Konsequenzen für das Dichten – im Sinn vom Verhältnis und der Existenz von Innenwelt und Außenwelt,
Was existiert Wie:
und wie wird was dargestellt:
wiedergegeben oder erfunden,
geschaffen, erzeugt
-
„schöpferisch“! Oho!
– vgl. S. Langers „Gefühl und Form“ –
oder abgebildet, mimetisch?
Kann das Dichten hier einen Weg aufzeigen, der zum Erfassen, gar zum Verstehen dieser „Welt“ aus Welten als Ganzes des Gedichts führt?
Das Ganze,
der Teil – im Dichten die Relation aus Relationen schlechthin!
Ein Rede des Anderen aus dem eigenen Mund hin
auf den ganzen Mund,
der sich hört im anders gelagerten Ohr
und sich so als offen für das Andere darin und daraus versteht –
weil er nicht will
so zu verstehen
wie es nun mal geht
weil er versucht
wies nun mal anders rum geht
F
Wie geht Dante?
Wie geht Mandelstam?
Wie gehen wir?
Wie gehe ich?
Wie geht das Gedicht?
Gehen –
eine Metapher für das Gehen:
Als Vergleich?!
Als Analogie?!
Oder
ein Ausdruck der Tätigkeit, ein Zeit Wort, ein Wort in der Zeit eine Zeit im Wort
Gehen als „machen“, es geht was hervor, wird tätig, Praxis also!
-
vgl. H, Arendts „Vita activa“ –
das Handeln nach und mit dem und ALS Verstehen:
Und nun der Sprung:
Ist dieses Gehen, Machen, Erzeugen, Hervorbringen bereits das Verstehen,
besser: ein Verstehen, noch besser: eine Möglichkeit des Verstehens (Hypothesen nicht über, sondern als Wirklichkeit::::
– vgl. O. Wieners Gefühl als Hypothese, die ein Gedanke ist, des Denkens, das Dichten sein könnte –
der Konjunktiv stammt von mir....
Das Hervorbringen, die Poeisis selbst als ausführendes Verstehen
– wir landen wieder bei Mandelstam:
G
DAS AUSFÜHRENDE VERSTEHEN
Wir kommen zurück zum Sprechen und Reden:
Das dichterische Sprechen ALS GEKREUZTER PROZESS!
Die Bestandteile des Prozesses:
– vgl. „WHITEHEADS REALITÄT UND PROZESS“ –
o zweierlei Klänge
a Veränderung der Instrumente
b eigentliches Sprechen. Intonations- und phonetische
Arbeit der Instrumente
: in Szene setzen von Bildern / das sind die Instrumentalen
MITTEL
: kein Teil der Natur / keine Widerspiegelung – nimmt eigenständig neues AUSSERRÄUMLICHES Aktionsfeld ein
Aber:
Der Instrumentenmeister ist kein Verfertiger (Nacherzähler) von Bildern
Bilder niemals beschreibend, nur rein darstellend, sie sind expressiv aufeinander bezogen, suggestiv durch Struktur und nicht durch ihre äußere Geschlossenheit.
H
ICH
Denken, Begreifen – der Begriff, das Semantische als das Festgelegte,
das Definierte das zum MUSTER führt:
Nicht und trotzdem schon auch zum VERKNÜPFEN:
Etwas Ergriffenes, Erfasstes, dem Dunkel Entrissenes in einer Sprache,
die wir FREIWILLIG und gerne VERGESSEN,
sobald der ERHELLENDE AKT DES VERSTEHENS BZW. (des) AUSFÜHRENS vollzogen ist
– vgl. in Hannah ARENDTS „Vita activa“ den Unterschied von
Erkennen und Denken –
o Erkennen ist Wissenschaft, Wissen vermittelnd und
Gewusstes ansammelnd, verfolgt bestimmtes Ziel aus
praktischen Erwägungen heraus, am Ziel ist
Erkenntnisprozess zu Ende;
o Denken weder Ziel noch Zweck außerhalb seiner
selbst, zeigt nicht einmal Resultate, es ist „nutzlos“ wie das
inspirierte Kunstwerk (...siehe Langer zum schöpferischen
Werk...)
reines Denken kann nicht beanspruchen, den
voranschreitenden Gedankengang zu unterbrechen, wenn er
das Gedachte so VERWANDELN will, dass es sich zu einer
schriftlich-verdinglichenden Darstellung eignet.
I
Vgl. dazu MANDELSTAMS
Sprechen des Begriffs als Begreifen, Stammeln, Schmatzen etc.
= laut Mandelstam Dantes Spracharbeit, und so folgt:
o Wissenschaft gibt Dichtung die Hand aus Licht, Schall, Materie, stellt die Philosophie auf die „Beine, ist“
o
gegen automatisches Sprechen,
o
weckt mitten im Wort und rüttelt auf, das Wort ist
länger, als wir dachten,
SPRECHEN BEDEUTET IMMER UNTERWEGS SEIN
– ist das GEDICHT als solches, seine Mittel, auch bei ARENDT:
Dichtkunst, aus/mit dem Material Sprache, deren Produkt dem DENKEN, DAS ES INSPIRIERTE, am nächsten bleibt.
Dauerhaftigkeit des Gedichts entsteht durch
o
Verdichtung als in äußerster Dichte und Aufmerksamkeit gesprochenes Sprechen, ist in sich bereits „dichterisch“;
o
Andenkendes Erinnern (Mnemosyne, die Mutter aller Musen und Künste) sprachlich so konzentriert, dass das Gedachte sich in ETWAS VERWANDELT, was sich UNMITTELBAR dem Gedächtnis einprägt;
o
Rhythmus und Reim, nicht nur die technischen Mittel der Dichtkunst, stammen aus dieser äußersten Konzentration,
Nähe des Gedächtnisses zu diesem andenkenden Erinnern
erlaubt auch ohne Niederschrift in der Welt zu überdauern,
plus anderer gearteter Maßstäbe –
etwa durch
EINPRÄGEN/EINPRÄGSAMKEIT!
J
Dazu:
Mandelstams verlängerter Körper – der Versfuss / das Atmen siehe unten:
in Folge
DAS HANDELN
und die
menschliche Pluralität auf zweierlei Art
= zweierlei Klänge bei Mandelstam?!
: GLEICHHEIT
(= Verständigung unter Lebende, ermöglicht, dadurch auch Verstehen der Toten, Planen für Welt nach uns)
und VERSCHIEDENHEIT
(= absolutes Unterschiedensein jeder Person von einer anderen – deswegen bedarf es der Sprache (Zeichen- Lautsprache würde genügen...)
K
Dazu evtl.
ICH:
Mittel der Dichtung ist das Verwandeln aus Gleichheit und Verschiedenheit, aber etwas anders gedacht. Als:
DAS DENKEN ALS SPRECHEN DES KRÄCHZENS
IM KÖRPER DER SINNE ALS LAUT DER MUND
o Sinnliches Verlangen nach Reim
o Zunge/Zähne/Infantilität der ital. Phonetik
/ Kinderlallen
L
DAS VERFEHLTE
– vgl. Whitehead „SCHIELEN IST ERKENNTNIS“
o Versfuss = Einatmen = Ausatmen = Schritt
Mittel bei Mandelstam/Dante:
Zehnter Gesang im „Inferno“ –
Innere Blindheit einer kompositionellen Verdichtung
Das MITTEL dazu:
Ganzer Gesang auf Verbale AUSFÄLLE aufgebaut:
Zweiter Ausfall:
Unvermischte Präsensform,
Schrecken des Gegenwärtigen,
VERSPRECHER IM PERFEKT: „ebbe!
Versprecher macht Hauptstrom des Dialogs den Weg frei –
mittlere Tätigkeit zwischen Hören und AUSSPRECHEN,
DEM WESEN NACH IDIOTISCH
(– vgl. Whitehead „SCHIELEN IST ERKENNTNIS“–)
dazu die
Form:
Innere Form,
Klingen ohne Worte
– vgl. Freud / Brodsky –
die VIELFALT von Formen:
Auch Wortschatz betreffend,
Wortschatzintentionen Dantes:
barbarische Intention zur
germanischen Schaumigkeit und slawischen Kakaphonie;
lateinische Intention zum Dies irae wie zum Küchenlatein:
mächtige Leidenschaft für die Mundart der Heimatprovinz, die toscanische Intention!
Also, also das heißt Einarbeiten, Einarbeiten
das ZITAT
als Gesang
der Zitatorgien:
ZITATE SIND ZIKADEN
auf
Dantes An-Spielungsklaviatur – die Sachen selbst kennen wir nicht, sensibel aber für ihre ANORDNUNG ...
DAS GANZE tritt dabei hervor als differenzierter Leidenschaftsausbruch, von dem sie durchdrungen ist.
HERVORTRETEN UND DURCHDUNGENSEIN führt IN keiner Minute ZUR Ähnlichkeit (dazu Arendts Überlegungen zu Gleichheit und Verschiedenheit s.o.)
Das Ganze – der funktionale Raum, das Detail darin reißt sich los, spaltet sich vom System ab, aber die Anordnung ist entscheidend etc.
o
Das Ganze ist Komposition
o
Das Partielle ist die Metapher
o
Das Flexible der Vergleich:
„Ich vergleiche, also bin ich?“
(eine meiner Anmerkungen zum Essay von Mandelstam)
Aber:
Die Definitionen – von Vergleich, Metapher etc. – kehren in den Dichter zurück, bereichern ihn durch ihr Hineintauen:
Werden wieder Erstgeburt, verlieren aber dieses „Recht“, indem sie in der
ZWISCHEN DEN BEDEUTUNGEN HINDURCH
STREBENDEN UND SIE FORTSCHWEMMENDEN MATERIE AUFGEHEN
– vgl. PRIESSNITZ‘ im Brief an Chris Bezzel, Zwischensprache im Gedicht „zitronen“ –
- vgl. Whitehead allgemein – !!!
K
und
– IMMER WIEDER Mandelstams DICHTUNG als AUSFÜHRENDES VERSTEHEN UND DANTE MIT DAZU:
UND WEITER WEITER WEITER !